In vielen Tages-Zeitungen und Zeitschriften überschlagen sich die Artikel und Kommentare da der Bundesgerichtshof das Selbsthilferecht eines Grundstücksnachbarn nach § 910 Abs. 1 BGB deutlich gestärkt hat. Allein die Begründung, dass die Beseitigung des Überhangs das Absterben des Baums oder der Verlust seiner Standfestigkeit droht, hielt der rechtlichen Nachprüfung durch den BGH nicht stand [1]. Kommunen ohne Baumschutzsatzungen spüren bereits heute die Macht der Baum-Hasser. Als Gerichtssachverständiger bekomme ich aus erster Hand mit, wenn private und kommunale Bäume entfernt werden MÜSSEN, weil ein einzelner Nachbar dies verlangt. Oder der Nachbar einfach die überwachsenden Wurzeln von seinem Grundstück entfernt. Im Zuge der Selbstvornahme ist dies nunmehr ausdrücklich erlaubt und bis heute kenne ich kein Verfahren, dass ein Baumeigentümer erfolgreich einen Schadensersatz eingefordert hat.
Vorab möchte ich davor warnen, nun einfach am Nachbarbaum herumzuschneiden. Es gibt noch immer Bedingungen, die ich hier nicht thematisieren will.
Nun wird´s ernst für Kommunen ohne Baumschutzsatzung
„Ich habe ja nichts gegen Bäume, aber dieser...!“ Grenznahe Bäume und insbesondere der Überhang sind regelmäßig Streitgegenstand. Gleich, ob die Maßstäbe den §§ 906, 910 oder 1004 BGB entnommen werden, sind naturschutzrechtliche und behördliche Beschränkungen höhergestellt. Ist die Entfernung des Überhanges mit Blick auf naturschutzrechtliche Regelungen, z.B. eine Baumschutzsatzung zu bewerten, vereinfacht sich die Einschätzung deutlich. Baumschutzsatzungen beschreiben sehr viel genauer und für alle – dem Baumeigentümer genauso wie dem Nachbarn – welche Schnittmaßnahmen verboten sind oder verweisen auf Richtlinien.
„Es gibt Wohngegenden, die haben einfach keine Bäume verdient!“
Bäume leisten besonders im urbanen Raum enormes, dienen der Luftreinigung, kühlen das Stadtklima und bewirken Ruhe sowie Erholung. Reduziert man den Baumbestand in einem Stadtteil wesentlich, dann fallen dort die Immobilienwerte. Andersherum finden sich die höheren Immobilienwerte in Gegenden mit einem alten und gut gepflegten Baumbestand.
Gleichzeitig werden die Grundstücke aber immer kleiner und Bäume stehen plötzlich unmittelbar grenznah.
Es ist völlig unverständlich, wenn sich Lokalpolitikerinnen und Lokalpolitiker noch immer um eine vernünftige Baumschutzsatzung zieren und wie es sein kann, dass sogar bestehende Satzungen aufgehoben werden. Gerne wird die Selbstverantwortung von Baumeigentümern genannt und der liberale Gedanke, dass jeder selbst entscheiden dürfe, was er mit seinem Grundstück macht. Hiergenanntes Urteil zeigt deutlich, dass eine Baumschutzsatzung nicht nur den Baumeigentümer in seinen Rechten einschränkt, sondern ihn auch bei dem Erhalt seines Baumes unterstützt.
Zuletzt können Satzungen vor ungewolltem Nachbarstreit schützen. Es muss eine gehörige Beratungsresistenz vorliegen, denn weder ökonomische noch ökologische Gesichtspunkte begründen vernünftige, sachliche Einwände gegen eine Baumschutzsatzung.
Sehr spannend finde ich die Diskussion zum Gleichbehandlungsgrundsatz in dieser Sache, denn nach dem BGH-Urteil sind Baumeigentümer Kommunen mit einer Baumschutzsatzung vor Sachbeschädigung geschützt und in Kommunen ohne Baumschutzsatzung ist es einem Nachbarn per Gesetz erlaubt, einen Sachschaden an fremdem Eigentum vorzunehmen….
[1] BGH, Urteil vom 11. Juni 2021 – V ZR 234/19 –, juris
[2] OLG Köln, Urteil vom 12. Juli 2011 – I-4 U 18/10 –, juris
[3] BGH, Urteil vom 14. Juni 2019 – V ZR 102/18 –, juris