Es wird noch viel Überzeugungsarbeit nötig sein, Bauherren und Planer von der Notwendigkeit des Baumschutzes auf der Baustelle zu überzeugen. Heute übliche Maßnahmen kosten nicht nur enorm viele Ressourcen. Die Wirksamkeit z.B. des Stammschutzes wird ins Gegenteil verkehrt, da der Stammschutz einen kompletten Baumschutz suggeriert. Insbesondere durch Wurzelschäden werden oft irreparable und erst nach Jahren auftretende Defekte ausgelöst.
Vielen Firmen ist die Brisants nicht wirklich bewusst. In der DIN18920 wird die Dokumentation des Baumschutzes zwar vorgeschrieben (z.B. mit Tagesberichten), aber kaum einer nutzt dieses Instrument.
Aufgrund der zeitlichen Entfernung werden die daraus resultierenden enormen Kosten nicht mehr dem Bauvorhaben zugerechnet. Hier freue ich mich, dass immer mehr Kommunen und Architekten dies erkennen und mich oder andere Arboristen als 'Spezialisten für Baumfragen' frühzeitig in die Planung und bei der Ausschreibung und Bauleitung einbeziehen.
An einer Lindenallee mit 70 gesunden, schön gewachsenen ca. 80-jährigen Linden wird ein neues Glasfaserkabel verlegt. Die Kommune legt dem Versorger auf, den Baumschutz besonders zu wahren. Der Fachplaner schreibt auch entsprechend aus und findet in der RAS-LP4 auch den passenden Stammschutz und die dazu gehörende Formulierung im Standart-Leistungstext. Ebenso wird `Handschachtung´ für Wurzelbereiche ausgeschrieben, ohne genau zu definieren wo diese sind. Der Auftrag wird vergeben, die Kosten liegen allerdings rund 4 % über vergleichbaren Maßnahmen ohne Baum-Allee.
Mit der Vermutung alles richtig zu tun, verlegt die Baufirma das Kabel, wie vorgesehen, in die Kabeltrasse. Dass sich diese unmittelbar am Stamm befindet, erfährt keiner besonderen Berücksichtigung. Immerhin wurde vorher ein ca. 50,- € teurer Stammschutz an alle Bäume angebracht (insgesamt also 3.500,- €).
Die Kabeltrasse wird im Januar ausgehoben. Selbstverständlich schachtet die Baufirma per Hand, sobald der Minibagger den Widerstand einer Starkwurzel erkennt. So werden nur wenige Wurzeln in unmittelbarer Stammnähe ausgerissen. Für die rd. 168 cbm Handschachtung werden 8.400,- € zusätzlich berechnet. Diese Position hat sich verdreifacht und führt zu erheblichen Diskussionen. Die Baumaßnahme verzögert sich wegen dieser Schwierigkeiten. Nach Beendigung der Baumaßnahme werden die Baumscheiben wieder freigekratzt und der Stammschutz entfernt.
Im darauf folgenden Sommer zeigen die Linden dürre Spitzen und im Spätsommer vergilbt das Blatt. Ein Jahr später treiben fünf Linden nur noch sporadisch aus. Die Spitzen sind trocken. 15 weitere Linden zeigen sich sehr prädisponiert mit geringem Zuwachs und stark aufgehellten Blättern. Von einem Sachverständigen wird ein Zusammenhang mit dem Bau der Kabeltrasse im Vorjahr vermutet. Dieser begleitet die Alle ein weiteres Jahr mit weiteren 21 Bäumen, die stark schwächeln. Fotos der Bauphase und Aufzeichnungen über notwendige Handschachtung und Starkwurzeln zeigen eine deutliche Korrelation der prädispositionierten Bäume durch Bodenlagerungen und Wurzelverletzungen der Bauphase. Es wird erwartet, dass mindestens 80 % der Linden so stark geschädigt worden sind, dass diese kurzfristig eingehen und ausgetauscht werden müssen. Auch die restlichen Linden würden durch geringere Wurzelverletzungen mittelfristig einem Pathogen, wie z.B. dem Brandkrustenpilz ausgesetzt sein und ihre Standsicherheit verlieren.
Quintessenz:
Auch wenn dieses Beispiel rein fiktiv ist, wird die Brisanz schnell klar. Jeder Arborist insbesondere mit Baustellenerfahrung erkennt sofort die Konflikte, die es galt vorher zu lösen. Wichtigster Kritikpunkt dieser Misere: Keine der vier Parteien ist baumbiologisch so bewandert, tatsächliche Probleme der Wurzelverletzungen abschätzen zu können.
Je früher ein Arborist zu Rate gezogen worden wäre, desto geringer die Kosten:
...wer nun vorschnell mit Nichtmachbarkeit winkt und die Kosten vorschiebt: siehe oben!
Der Baum auf einer Baustelle oder in unmittelbarer Nähe ist kein Einzelfall und sorgt immer wieder für Mehrkosten, Streit und Unstimmigkeiten während der Baustellendurchführung und zu Diskussionen ob ein Schaden Planungsfehler oder vermeidbar war. Ein Ortstermin und ein kurzes Gespräch im Vorfeld der Planung/Baustelle ist schnell und kostengünstig (vielleicht 1-2 Stunden) kann aber enorme Kosten für Planer, Bauherren und Baufirmen erheblich reduzieren bei gleichzeitig höherer Sicherheit.
Dabei gehen wir pragmatisch vor:
Der Bauherr kann sich dann entscheiden, entweder Baumschutz durchzuführen oder eine kostengünstige barrierefreie Baustelle zu planen. Eine frühzeitige Einbindung eines Baum-Büros kann völlig neue Lösungen herbeiführen und hilft bei der Argumentation sowohl Behörden, Bauherren, Baufirmen und Planern.